Am Haken – Streetfishing ist im Trend

Angeln ist heute eine gefragte Lifestyle-gestaltung im urbanen Raum. Nicht mehr nur ein Hobby für Rentner*innen, hängen vermehrt junge Menschen am Haken und finden über das Angeln einen Zugang zur Natur. Das Erleben begrenzter Ressourcen ist dabei eine wertvolle Erfahrung, die nachhaltiges Handeln einmal mehr ins Bewusstsein rückt.

Die größte Streetfishing-Szene Europas gibt es in Hamburg – mit rund 120.000 Angelnden wird die Hansestadt damit auch dem Status als Angelhauptstadt Deutschlands gerecht. Dies liegt an den vielen Gewässern in und um Hamburg und der damit verbundenen Fischvielfalt. Angel-tourist*innen haben es meist auf den Hamburger Zander abgesehen, aber auch Hechte, Aale oder Karpfen lassen sich hier an den Haken kriegen. Auf das kontinuierlich steigende Interesse am Angeln hat man in Hamburg mit einer bundesweit einmaligen Einrichtung reagiert. Im strudelreichen Wasser zwischen Bille und Elbe findet sich nicht nur ein besonderer Fischreichtum, sondern seit Frühjahr 2021 nun auch das neue Hamburger Angelzentrum. Wozu früher viele Anlaufstellen nötig waren, können dort unter einem Dach alle Formalitäten, wie Angelschein, Bootsangelkarte und die Fischereiabgabe erledigt werden. Ein Besuch lohnt sich dabei nicht nur für eingefischte Angler*innen, sondern bietet auch interessierten Laien ein besonderes Ausflugsziel. Das Herzstück der Anlage ist ein 17.000 Liter fassender Aquariumbereich. Er vermittelt Lerninhalte über das Fischvorkommen in der Elbe und informiert über einzelne Arten. Und nach ausreichend Angelcontent ist das Bistro Entenwerder 1 auf dem Anleger mit dem goldenen Pavillion auch nicht weit entfernt.

Nicht nur Nordlichter, wie Fynn Kliemann, sondern auch Kölner wie der Podcaster Tommi Schmitt bekunden ihre Liebe zum Angeln öffentlich auf Instagram. Selbst das deutsche Fernsehen ist trendy dabei und gewann mit der NDR-Sendung „Rute raus – der Spaß beginnt“ treue Fans. Der Titel kommt etwas schlüpfrig daher und lässt unweigerlich an ältere Männer denken. Für den ehemaligen Fußball-Journalisten Heinz Galling und seinen TV-Kumpel Horst ist Angeln aber mehr als Männersache. Sie wollen nicht das Klischee des langweiligen Anglers mit Klappstuhl und Bier repräsentieren, sondern die Vielfalt zeigen, die dieses Hob-by so aufregend macht. Egal, ob Hecht, Barsch oder Zander – Horst und Heinz lassen nichts unversucht. Immer mit dabei: eine große Portion Humor. Besonderen Unterhaltungswert bietet das Format mit Sequenzen, in denen Missgeschicke passieren. Momente, in denen sich die Herren nicht nur um das letzte Wort, sondern vermutlich auch um die längere (Angel-)Rute batteln, sind für die Zuschauer unbezahlbar. Dass Heinz Galling mitunter mehr als einen ganzen Tag braucht, um eine bestimmte Pose zu testen, macht ihn ebenso sympathisch, wie die ausrangierte Segeljolle, die zum Angelboot umgerüstet wurde und nur mittels Schwamm über Wasser gehalten werden kann. Aus den norddeutschen Originalen wurde eine Sitcom – zwei Männer knorrig, aber komisch!

Mit unvermeidlichem Bucket Hat und der Aussicht auf selbsterjagte, fette Beute eine ganze Weile am Ufer stehend, klingt Angeln nach dem besten Beispiel für: Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss. Aber nein, das ist natürlich schon lange nicht mehr der Fall! Das Fishinggirl Anja Heppner ist nicht nur die Queen des Hechtangelns, sondern auch ein Idol, das mit Klischees aufräumt. Als Angelgirl-Anni, Rolemodel der Posen, Haken und Stippen bietet die sympathische Youtuberin geführte Angeltouren für Frauen und Kinder an und ist mit einer über 10.000 großen Instagram-Followerschaft mittlerweile allen Petrijünger*innen von der Ostsee bis zum Bodensee bekannt. Unter dem selbst gewählten Motto „Mit Anni angelt es sich schöner“ bringt die junge Frau mit ihrer pinkfarbenen Regenjacke und den langen blonden Haaren ungewohnten Glamour in die Angelwelt. Bis vor ein paar Jahren hatte sie selbst aber noch überhaupt keine Ahnung vom Angeln. Wie sie zum Angeln gekommen ist? „Das ist immer die erste Frage, die ich beantworten soll.“ Sie lacht. „Als ich noch ein kleines Kind war, ist mein Vater oft mit meinen Brüdern zum Angeln gefahren – Hat mich als Mädchen aber nie mitgenommen, weil das nicht üblich war. 2014 war ich dann mit einigen Kumpels zum Brandungsangeln unterwegs und habe einfach dabeigesessen. Der gefangene Fisch wurde filetiert und gegrillt. 

Irgendwann schlug die Spitze der Brandungsrute wieder aus und ein Kumpel sagte: ,Hol’ den Fisch mal raus.‘ Mein erster Kontakt zum Fisch war also mit einer schweren Brandungsrute. Es war ein kleiner Dorsch. In diesem Moment war ich Feuer und Flamme für das Angeln und wollte natürlich auch alles darüber lernen.“ „Mich stört es immer, dass jede Angelrute, die etwas nach Mädchen aussieht, eigentlich Schrott ist. Es gibt kaum vernünftige Angelruten für Frauen auf dem Markt“. 

Angel Anni (Anja Heppner) am Fleesensee – !!!NUTZUNG NUR NACH GENEHMIGUNG DURCH JOHANNES ARLT!!!

Mit der wachsenden Fangemeinde in den sozialen Medien kamen dann auch die Angebote, denn die Angelindustrie hat schnell ihr Potenzial erkannt. Doch die gebürtige Eckernförderin ließ sich selbst von fünfstelligen Beträgen nicht ködern. „Warum es über einen anderen Hersteller machen, wenn man es selber machen kann?“, fragte sich die ehemalige Radiomoderatorin und zieht unter ihrem Markennamen Angel-Anni ihr eigenes Ding durch. Dazu gehört auch eine selbst entworfene Angelrute. Ein Jahr lang hat sie den Prototypen getestet, Änderungen vorgenommen und weiterentwickelt. Seit Mai 2021 gibt es die erste „Angel-Anni-Rute“ zu kaufen. „Die Rute ist zum Spinnfischen gedacht und eine Allrounder-Rute. Ob Hecht, Barsch oder selbst Dorsch, die Rute ist vielseitig einsetzbar und eignet sich für Kinder und Frauen, die erst einmal mit einer Rute einsteigen wollen, um das Angeln zu lernen“, wirbt sie. 

Ihre Motivation, den Kids das Angeln beizubringen, kann Angel–Anni ziemlich klar umreißen: „Ich möchte Kinder und Jugendliche weg vom Fernseher holen und ihnen das Angeln beibringen. Beim Angeln kann alles möglich sein. Es ist ein ständiger Lernprozess und das Wichtigste daran ist, dass die Kinder und Jugendlichen draußen in der Natur sind.“ Damit trifft sie den Kern – besonders in Corona-Zeiten – lasst uns raus an die frische Luft!

Dieser Artikel ist im Seaside Magazin 2021 erschienen.

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Fotos: Florian Melzer, Brian Jakubowski, NDR, Johannes Arlt,