Humboldtpinguine im Projekt "Hearing in Penguins", Sebastian Conradt
Fotos: Sebastian Conradt

Hearing in Penguins

Seit langem ist bekannt, dass Tiere wie der Schweinswal vom zunehmenden Lärm im Meer erheblich gestört werden. Das Rammen der Fundamente von Offshore-Anlagen, seismische Messungen oder die Motorengeräusche von Schiffen erzeugen unter Wasser einen Schalldruck, der die Orientierung der Meeressäuger beeinträchtigen und sogar zu lebensbedrohlichen Verletzungen führen kann. Doch welche Bedeutung hat die vom Menschen verursachte Geräuschkulisse für tauchende Vögel? Können sie unter Wasser überhaupt hören? Das Projekt „Hearing in Penguins“ des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund beschäftigt sich mit diesen Fragen.

Text und Fotos: Sebastian Conradt

Wenn Jenny Byl morgens an Seehunden und Seelöwen vorbei in das hinterste Gehege des Marine Science Centers geht, sind „ihre Jungs“ vom Projekt Hearing in Penguins schon ganz aufgeregt. „Tipp-tapp, tipp-tapp“ macht es auf den schwimmenden Kunststoff-Pontons, Herrmann und Otto, Jimmy und Fritz kommen herbeigeeilt und begrüßen ihre Trainerin mit liebevollem Anschmiegen und einigen zärtlichen Bissen. Und mit einem neugierigen Blick in den Edelstahleimer, der voll schnabelgerechter Fische ist. Denn die vier Jungs sind Humboldt-Pinguine, gerade einmal einen halben Meter groß, die vor etwa zwei Jahren vom Stralsunder Meeresmuseum zum Projektpartner hier in Warnemünde kamen, um an einer wissenschaftlichen Untersuchung teilzunehmen. Sie sind Probanden einer der ersten Studien weltweit, die die auditiven Fähigkeiten – also die Sinneswahrnehmung von Schall – von tauchenden Vögeln erforscht.

Das Projekt Hearing in Penguins ist eine Kooperation des Meeresmuseums mit dem Marine Science Center der Universität Rostock in Warnemünde und der Universität Süddänemark in Odense. Dass Vögel hören können, ahnt jeder, der morgens bei geöffnetem Schlafzimmerfenster in seinem Bett vom Gesang einer Amsel geweckt wird. Die verschwenderisch erscheinenden Melodien werden wohl kaum ohne erhofften Nutzen vorgetragen. Mit Glück kann der Sänger ein Weibchen anlocken, das sein Lied auditiv wahrnimmt und zu schätzen weiß. Und es sind nicht ausschließlich Singvögel, die des Hörens mächtig sind. Schleiereulen etwa sind in der Lage, in totaler Finsternis allein mit ihrem Gehör das leise Rascheln einer Maus zu orten und so das kleine Nagetier im Blindflug zu erbeuten. Bartkäuze hören Mäuse unter der Schneedecke und ergreifen sie dort zielsicher. In Südamerika und Südostasien gibt es sogar höhlenbewohnende Vögel, die ähnlich wie Fledermäuse mithilfe der Echoortung im Dunkeln navigieren. Die meisten Vögel hören jedoch etwas schlechter als Säugetiere es können.

Schichtbeginn für „die Jungs“ im Marine Science Center.
Schichtbeginn für „die Jungs“ im Marine Science Center.

Können Vögel überhaupt unterhalb der Wasseroberfläche hören?

Dass auch Seevögel hören können, wird jedem klar, der schon einmal an einer ihrer Kolonien gestanden hat, etwa auf Helgoland, und dem dort das tausendstimmige Lärmen der Alt- und Jungvögel zu Ohren gekommen ist, das einem selbst die Sprache verschlägt. Brutpaare nutzen in dem Gewimmel ihre Stimmen, um stets zueinander zu finden, hungrige Küken rufen nach ihren Eltern, die sie auditiv identifizieren können. Wenn sich die noch flugunfähigen jungen Trottellummen am Ende ihrer Nestlingszeit vom Brutfelsen ins Meer stürzen, rufen sich Eltern und Kinder zusammen, die sich unter Hunderten oder Tausenden allein am Tonfall ihrer Stimmen erkennen.

Der Lebensraum von Meeres- und Wasservögeln erstreckt sich allerdings auch unterhalb der Wasseroberfläche, und hier ist noch so gut wie nichts darüber bekannt, ob die Tiere auch in diesem Medium hören können oder Laute äußern. Die Forschung steht noch ganz am Anfang. „Wir haben keine Ahnung, null!“, sagt Dr. Michaël Beaulieu, Koordinator des Projekts Hearing in Penguins am Deutschen Meeres­museum. Im Ozeaneum, dem neuesten Standort des Hauses im Stralsunder Stadthafen, werden die dort gehaltenen Humboldt-Pinguine an den Forschungsauftrag herangeführt.

Die flugunfähigen Seevögel von der Südhalbkugel der Erde sind wie alle Vertreter der Pinguine perfekt an das Leben unter Wasser angepasst und Meister des Tauchens. Reagieren die Tiere auf die natürlichen Unterwasser-Geräusche ihres Lebensraums, etwa von Gletscherkalbungen (das ist der Fachbegriff für den Abbruch eines ins Meer oder in einen See mündenden Gletschers), der Meeres­brandung oder herannahenden Fressfeinden? Die Forscher wissen es nicht. Noch weniger ist darüber bekannt, ob anthropogene, also von Menschen verursachte Geräusche wie etwa Schiffslärm Auswirkungen auf die tauchenden Seevögel haben. „In unserem Projekt Hearing in Penguins werden wir das Hörvermögen von Pinguinen sowohl an der Luft als auch unter Wasser erforschen“, so Beaulieu. Dabei kommen Humboldt-, Felsen-, Esels- und Königs­pinguine zum Einsatz. Die Tiere sind Grenzgänger zwischen den Welten – sie leben sowohl im Meer als auch an Land.

Zwei sich ergän­­zende Methoden

Grundsätzlich gibt es zwei unterschiedliche Methoden, die auditiven Fähigkeiten von Tieren zu erfassen. Beide haben Vor- und Nachteile. Zum einen kann im Rahmen einer Hirnstammaudiometrie die Aktivität der Hörnerven über am Kopf platzierte Elektroden abgeleitet und sichtbar gemacht werden. Das Verfahren ist für die Tiere völlig unschädlich und wird in der Humanmedizin auch an Säuglingen angewandt, die zu einem normalen Hörtest noch nicht in der Lage sind, da sie ihre Hörwahrnehmung nicht anzeigen oder verbalisieren können. Die Durchführung braucht nicht viel Zeit, bei Vögeln etwa eine Stunde, und ist nach der neuesten Weiterentwicklung der Methodik auch im freien Feld an eingefangenen Wildvögeln möglich. Allerdings müssen die Tiere für die Untersuchung sediert werden, sodass die Anwendbarkeit unter Wasser entfällt. Auch gibt der Ansatz keinen Aufschluss darüber, wie die akustischen Reize im Gehirn verarbeitet werden.

Da Tiere nicht so einfach zu erkennen geben, was sie hören, müssen sie über lange Zeit darauf trainiert werden, diese Hinweise zu geben.

Da Tiere nicht so einfach zu erkennen geben, was sie hören, müssen sie über lange Zeit darauf trainiert werden, diese Hinweise zu geben.

Die zweite Möglichkeit, Erkenntnisse über den Gehörsinn zu erhalten, bietet die Verhaltensforschung – übertragen auf den Menschen ist das der klassische Hörtest. Da Tiere nicht so einfach zu erkennen geben, was sie hören, müssen sie über lange Zeit darauf trainiert werden. Somit kommen für diese psychoakustische Methode nur Vögel in Gefangenschaft infrage, die nicht in ihrem natürlichen Habitat leben. „Das größte Manko beider Methoden ist jedoch, dass sie in vergleichenden Untersuchungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen“, gibt Beaulieu zu bedenken. Nach der Hirnstammaudiometrie sind die Vögel stets etwas schwerhöriger als im verhaltensbiologischen Experiment. „Deshalb wird es im Projekt Hearing in Penguins wichtig sein, ausreichend viele Individuen zu testen, um beide, sich gegenseitig ergänzenden Ansätze aufeinander kalibrieren zu können.“

Wenn die Tiere keine Lust haben, haben die Wissenschaftler Pause. Das Projekt Hearing in Penguins funktioniert nur, wenn die Tier eVertrauen haben.

In Stralsund und Odense lernen die Pinguine als erstes, ihren Kopf abzulegen, mit dem Schnabel ein Symbol zu fixieren und für eine Weile so zu verharren. Alles läuft für die Tiere auf freiwilliger Basis, und wenn sie an manchen Tagen keine Lust haben mitzumachen, dann muss die Wissenschaft pausieren. Schließlich erhalten die Pinguine gezielte, in Tonhöhe und Lautstärke variierende akustische Reize und sollen mit dem Schnabel an einer Schaltfläche anzeigen, wenn sie etwas hören.

Ohne Vertrauen geht hier nichts. Und wenn die Tiere mal keine Lust haben, dann ist Pause.
Ohne Vertrauen geht hier nichts. Und wenn die Tiere mal keine Lust haben, dann ist Pause.

Ein ganz anderer Ansatz wird in Warnemünde erprobt, wo unter Wasser geforscht wird: Hier werden die Vögel zunächst darauf trainiert, auf Kommando eine gerade Strecke von A nach B tauchend zurückzulegen. „Wenn sie das gelernt haben, wollen wir ihnen von der Seite einen Referenzton vorspielen“, so Jenny Byl, die über die auditiven Fähigkeiten beim Seehund promoviert hat, „und die Pinguine sollen ihr Hörvermögen beweisen, indem sie in Richtung des Lautsprechers abbiegen.“

Das Gegenteil, Erschrecken und Flucht nach einem Störgeräusch, konnten die Meeresbiologen bereits dokumentieren: „Erstmals wurde direkt nachgewiesen, dass Pinguine unter Wasser hören und negativ auf Unterwasserschall reagieren“, erklärt Bioakustiker und Projektleiter Dr. Michael Dähne. „Dies zeigt deutlich, dass auch tauchende Vögel sensibel auf Unterwasserschall reagieren und deshalb genauso vor Explosionen, Bauarbeiten auf See und geophysikalischen Erkundungen geschützt werden müssen wie Wale und Robben.“

Das Orchester der Tiere

Um auch mit verschiedenen authentischen Geräuschen aus dem Lebensraum der Pinguine arbeiten zu können, ist Michaël Beaulieu im letzten Winter ins Südpolarmeer rund um die antarktische Halbinsel gereist. „Dort habe ich eine Art Geräusche-Inventar ihres natürlichen Lebensraumes erstellt.“ Ausgerüstet mit Mikrofon, Hydrofon und Kamera hat der Biologe neben lauten Rufen in den Pinguin-Kolonien beispielsweise auch Walgesänge unter Wasser aufgezeichnet. „Eselspinguine klingen entspannt und melodiös, während Zügelpinguine aggressiver und mit einer metallischen Stimme singen“, berichtet Beaulieu. „Zusammen bilden diese unterschiedlichen Arten ein Orchester, das ein lautes und mehr oder weniger harmonisches Konzert spielt.“

Welche Bedeutung und Funktion die Lautäußerungen von Pinguinen haben, will der Forscher im nächsten Winter auf der ornithologischen Antarktisstation Frankreichs im Adélieland herausfinden. Haben die Rufe und damit die Kommunikation der Vögel Einfluss auf ihr Brutverhalten oder den Bruterfolg? Rufen die Pinguine auch unter Wasser und wenn ja, wozu machen sie das? Koordinieren sie sich zur gemeinsamen Jagd? „Wenn Adélie-Pinguine in Gruppen schwimmen, springen sie zuweilen wie Delfine“, erzählt Beaulieu. „Und immer wenn sie kurz an der Luft sind, geben sie einen Laut von sich – wie ziehende Kraniche, die mit­einander kommunizieren, um ihren Schwarm zusammenzuhalten.“

Weitere Infos zu diesem und anderen
Projekten sowie Öffnungszeiten:
Deutsches Meeresmuseum Stralsund
meeresmuseum.de
ozeaneum.de
Marine Science Center Rostock
marine-science-center.de