Foto: Hans Ripa

Cölln’s – Von Austern, Kanalarbeiterschnitten und Meeresspaghetti

Keine Frage, es war ein Wagnis, als Jan Schawe 2017 das Cölln’s übernommen hat. Ein traditionsreiches Res­taurant in der Hamburger Innenstadt, eine echte Hamburgensie. Aber eben auch weitab der derzeit üblichen Flanierrouten, zu denen die Hamburger Innenstadt in den Abendstunden ja beklagenswerterweise – und auch oft beklagt – nicht gerade zählt. Aber sie haben einen Plan. Und der könnte aufgehen. Nicht der erste, denn Jan hat schon mal eine Idee in die Tat umgesetzt, die am Anfang noch weit weg vom Zeitgeist war. Jan ist nämlich der Gründer der Mutterland Delikatessen­geschäfte.

Nach seiner Eröffnung des bis heute betriebenen Stammhauses in Hamburg St. Georg im Jahr 2007 avancierte das Mutterland schnell zu einem Mekka für Liebhaber von Slowfood, Regionalität und (Hand)Crafted Produktion. Zu einer Zeit, in der die Menschen noch gar nicht wussten, dass sie sich mal mitten in einer Buzzword-Wolke befinden. Jan auch nicht. Denn er hat das aus Überzeugung gemacht.

Heute hat das Mutterland fünf Standorte. Mit dem Stammhaus in St. Georg, einem weiteren Delika­tessengeschäft in Eppendorf und dem „Mutterland City“ in zen­traler Innenstadtlage sind es drei Geschäfte in Hamburg. Dazu das Cölln‘s, das neben dem Restaurantbetrieb auch eine Auswahl der so Mutterland-typischen Delika­tessen bereithält. Ganz neu, und erstmals außerhalb Hamburgs, das „Mutterland Light­house“, angedockt an das „Lighthouse Hotel“ in Büsum. In den Mutterland Geschäften finden sich ausschließlich tradi­tionell hergestellte Delikatessen aus allen Regionen Deutschlands. Alle tierischen Produkte stammen aus artgerechter Tierhaltung von Höfen aus Norddeutschland. Überall wo es geht, werden regionale und saisonal verfügbare Zutaten verwendet.

So schön, so austauschbar. Oder zumindest nachahmbar. Was das Mutterland eigentlich ausmacht, ist das Schaffen einer Bühne hochwertiger Produkte von insgesamt 150 kleinen und mittelgroßen Manufakturen. Manufakturen, die ohne das Mutterland kaum an einen so spezialisierten Absatzmarkt kommen könnten. Ohne die das Mutterland auf der anderen Seite aber auch nur ein seelenloser Abverkäufer wäre, der eben mal ein paar Zeitgeist-Produkte an die LOHAS vertickt.

Nicht falsch verstehen, hier sind keine Altruisten am Werk. Für gute Ware zahlt man auch gutes Geld. Wenn man sich im Mutterland dem Kaufrausch hingibt, dann hat man am Ende schon das Gefühl, dass die Kreditkarte ein paar Grad wärmer als die Umgebungstemperatur geworden ist. Aber wenn man seine Partner tatsächlich partnerschaftlich und fair behandeln will, dann funktioniert der alte aber miese Leitsatz „im Einkauf wird das Geld verdient“ eben nur bedingt. Jan und sein Team wissen, dass sie eine wunderschöne Bühne geschaffen haben, aber die eigentlichen Stars die Produkte und die Überzeugungstäter hinter diesen Produkten sind. Was beide Seiten vereint, ist das Herzblut und die Überzeugung für das, was sie tun. Das hat sich herumgesprochen. Mutterland hat es mittlerweile international zu Bekanntheit gebracht. Es muss irgendwie an dieser Mutterland-DNA liegen. Und diese DNA wird nun auch dem Cölln‘s eingepflanzt.

Die Hamburgensie Cölln‘s

Das Cölln‘s ist eine Institution, über die Grenzen Hamburgs hinweg. Seit mehreren Jahrhunderten und damit die älteste Austernstube Deutschlands. Schon seit 1760 wurde hier mit Fisch und Meeresfrüchten gehandelt. Zu einer Zeit, in der der Fischkutter noch direkt am Haus anlegen konnte. Der Name Cölln‘s ist allerdings „erst“ 1833 mit dem Start des Restaurant­betriebes entstanden. Das Geschäft floriert, und mit der nötigen Portion Geschäftstüchtigkeit bringt es das Cölln‘s zu Fischereirechten auf Stör und kommt dadurch ohne Zwischen­händler an den Kaviar. Selbst eine eigene Austernfischerei auf Sylt wurde in den ersten Jahren des vorletzten Jahrhunderts gegründet. Das Cölln‘s wurde zum Hoflieferanten vieler europäischer Adeliger und avancierte zum größten Kaviar- Lieferanten Europas.

Das ist natürlich lange her. Aber Vieles aus dieser langen Tradition kann man bis heute im Souterrain­Restaurant, einen Steinwurf vom Hamburger Rathaus entfernt, spüren und sehen. Die 30.000 Jugend­stilkacheln aus dem Jahr 1898 genauso wie die Separees, die hier schon 1833 angelegt wurden. Die allerdings – und glücklicherweise – sind nicht mehr ganz so separiert wie damals. Wo heute die Zwischentüren einem offeneren und freundlicheren Gestaltungskonzept gewichen sind, trafen sich noch bis vor wenigen Jahren zahlreiche Persönlichkeiten mehr oder weniger diskret. Klar, die Promidichte ist heute bei Kowalke, Mälzer und Fehling (zu dem kommen wir später noch mal) größer. Aber wer von denen bitteschön hatte Zar Nikolaus, Kaiser Wilhelm II., Otto von Bismarck oder Hans Albers zu Gast? Oder Helmut und Loki Schmidt? Ok, die vielleicht.

Diskretion wurde überhaupt früher viel mehr wertgeschätzt. In einer Zeit, in der die Verschwiegenheitsverpflichtung während einer Präsidiumssitzung irgendeiner politischen Partei bis maximal zur nächsten Pinkelpause gilt oder in der wir quasi live bei einer Foto-­Lovestory dabei sein können, während ein Promi egal welchen Levels – es gibt wohl mindestens A, B oder C – gerade seine Austern isst (um beim Thema zu bleiben) oder sie wieder ausscheidet, merkt man vielleicht, dass früher eine andere Zeit war. Anders, nicht besser. Darauf möchten wir Wert legen.

Worauf wir eigentlich hinaus wollten, sind die aus heutiger Sicht wunderbaren Skurilitäten, die heute im Cölln‘s auch nur noch Geschichte oder Makulatur sind. Neben der ersten privaten Telefon­anlage besaß das Restaurant die erste Tischklingelanlage Hamburgs. Auf jedem Tisch befand sich früher eine Klingel, auf Wunsch zogen sich die Kellner zurück und erschienen nur, wenn der Gast per Klingel nach ihnen verlangte. Und generell, eine kleine rote Karte draußen an der Tür des Separees bedeutete für die Kellner, dass sie klopfen und warten mussten, bevor sie eintraten. Eine schwarze Karte signalisierte, dass sogar zu warten war, bis drinnen geklingelt wurde. Mutterland hat diese Art der Kommunikation heute nicht mehr.

Was man aß, man kann ja nur Austern vermuten, ist von den wenigsten Gästen überliefert. Das gehörte ja wahrscheinlich auch zum Konzept. Rudolf Augstein bestellte in den 80er Jahren am liebsten die Kanalarbeiter-Schnitte mit 200 Gramm Tatar vom Rinderfilet, kurz überbacken, mit einem Klacks Crème Fraîche und zwei Esslöffeln Kaviar. Gute Wahl, Tatar geht heute immer noch gut. Und überhaupt geht hier Vieles heute richtig gut. Als 2016 mit der drohenden Schließung des Cölln‘s das Ende einer Ära befürchtet wurde, verfielen eingefleischte Cölln‘s-Gänger in einen Schock. Klar war, dass nur ein Spagat zwischen Bewahren und Erneuern dem Cölln‘s den drive für das 21. Jahrhundert geben konnte, wollte man es denn bewahren.

Auch heute, nach dem Umbau, empfängt dich noch ein historisches Kunstwerk aus Fliesen, das den Fischreichtum der Elbe vergangener Zeiten zeigt, und du stehst mitten in einer kleinen Auswahl der Delikatessen aus dem Mutterland-Universum. Denn neben dem Restaurantbetrieb gewinnt das Cölln‘s mit dem Mutterland-Anschluss eine großartige Auswahl an Take-Away-Köstlichkeiten, Tees und auch Backwaren, wie das vielleicht beste Franzbrötchen der Stadt. Aus der hauseigenen Mutterland-Backstube übrigens. Vieles ist neu, aufgefrischt, entschlackt. Den Charme hat sich das Cölln‘s aber erhalten.

Das Frühstücks- und Tagesgeschäft brummte von Anfang an, hier war der Vertrauensvorsprung aber auch groß, schließlich sind die Backwaren und Kuchen von Mutterland fast schon legendär, die Innenstadtlage perfekt. Das Abendgeschäft ist kein Selbstgänger. Nicht bei der Konkurrenz in Hamburg. Und schon gar nicht in der Innenstadt.

Für diese Aufgabe hat man sich Marco Kaluscha geholt. Schreiberlinge wie wir schreiben an so einem Punkt, also an so einem Punkt eines Artikels über das Cölln‘s, dass er schon hier und da als Küchenchef und überhaupt mehrere Jahre mit Kevin Fehling, also dem be­gnadeten 3-Sterne-Kevin-Fehling, zusammengearbeitet hat. Was ja auch super ist. Was allerdings nicht unbedingt etwas über das Kochen in dieser Tradition-Moderne-Fusion noch über die Erfolgsaussichten aussagt.

Daher sind wir zu ihm ins Cölln‘s, haben uns bekochen lassen und uns gemeinsam mit Jan Schawe und seiner Kerncrew an den Tisch gesetzt. Wir hatten uns eigentlich eine abgefahrene Schlemmer-Orgie für unser Fotoshooting vorgestellt. Champagnerdusche, sich gegenseitig austernfütternde Menschen, ausgedrückte Kippen auf den Tellern, Rock‘n‘ Roll eben. Na ja, war nix. Zu unserer Schande haben wir unterschätzt, dass Marco da sehr konzentriert vorgeht und das, was er macht, sehr ernst nimmt. Dienst ist Dienst. Und Schnaps ist Schnaps. Ist ja auch richtig, schließlich hat er die Aufgabe, eine Hamburgensie auch für die Zukunft aufzustellen.

Fotos: Hans Ripa

Was wir eigentlich gegessen haben? Ausschließlich Gerichte, die so auch auf der Speisekarte stehen würden. Mit regionalen Zutaten und möglichst von kleinen Familienbetrieben. Erst mal Austern. Natürlich. Diese sind allerdings mit in Gin Sul und Tonic eingelegten Gurken drapiert. Gin Sul aus Hamburg-Altona hat ja von Haus aus eine deutliche Zitrus-Note, passt perfekt. Und – clever clever – den Gin Sul gibt es auch im Mutterland-Sortiment.

Meeresspaghetti!

Wir haben Marco gefragt, wie man das dann halt so macht, was denn das Geheimnis der Meeresspaghetti ist und welches wohl die geheimen Zutaten sind. Seine Antwort: „Algen mit Fenchel, jungen Erbsen, Blaubeeren und Sonnenblumenkernen. Alles vegan und ohne Allergene.“ Tja, weisse Bescheid, sind wir genauso schlau wie vorher.

Allerdings hat er ja Recht. Was will man auch erzählen? Das Besondere ist ja gerade, dass die Zutaten für sich sprechen und die Kombination dieser puren Komponenten das Gericht ausmachen. Man riecht und schmeckt Meer. Pur. Und genau das soll es sein. Es ist vielleicht gewöhnungsbedürftig, aber das ist eine Auster sicher noch ganz viel mehr. Wir haben uns die Meeresspaghetti gewünscht, weil Marco sich Gedanken über einen veganen Hauptgang gemacht hat, der nicht durch das Weglassen von tierischen Produkten eines Standard-Hauptganges glänzt, sondern eigenständig ist. Gebratene Fjordforelle. Marco sagt, das ist sowas wie sein Signature Dish.

Und tatsächlich auch richtig gut. Kombiniert mit drei Variationen vom Blumenkohl – als Püree, eingelegt und gebraten, Haselnüssen und Beurre Blanc, also ‘ner klassischen Buttersoße, genau nur so viel Chichi, dass die Fjordforelle nicht untergeht. Milch und Honig heißt der süße Abschluss. Ein Haferküchlein, beträufelt mit von Mutterlands hauseigenem Hafentee aromatisierter Milch, Honig und Eisenkraut-Öl. Alles zusammen – wir, Mutterland-Team, das Essen – kommt an- bzw. auf den Tisch. Und dann stellt sich dieses Gefühl ein. Nicht, in einem Relikt aus alten Zeiten zu sitzen, sondern in einem großartigen Restaurant mit viel Mutterland-DNA.

mutterland.de und coellns.de