Greenpeaceschiff „Arctic Sunrise“ in der Nordsee. (Text und Bilder aus dem Buch: Leidenschaft Ozean von Uli Kunz)

Steine gegen Netze – Mit Greenpeace in der Nordsee

Meeresschutz mit Greenpeace – Ökosystem Nordsee

Um den empfindlichen Lebensraum am Nordseeboden zu schützen, versenkte Greenpeace in den Jahren 2008 und 2011 große Steine im Meer, die die Schlepp-netzfischerei unterbinden sollen. Ein umstrit-tenes Vorhaben – aber mit großem Erfolg: Auf dem Boden der Nordsee sind artenreiche Oasen entstanden. Der Taucher und Buchautor Uli Kunz hat die Felsblöcke erneut besucht und vielfältiges Leben darauf entdeckt. 

Ich sehe das Meer vor lauter Schwebeteilchen nicht. Zusammen mit meinem Tauchpartner Robert Lehmann taste ich mich über den Grund der Nordsee, dreißig Kilometer vor der Küste von Sylt. Die Sicht war an der Oberfläche schon schlecht, und mit jedem Meter Tiefe wird sie noch undurchdringlicher. Als wir bei siebenundzwanzig Metern auf dem sandigen Grund aufsetzen, kann ich Robert fühlen, aber im dichten Treiben der Schwebeteilchen längst nicht mehr sehen. Die Strömung ist so stark, dass wir uns kaum auf der Stelle halten können, ohne abzutreiben. Bei solchen Bedingungen kann ich natürlich kein einziges brauchbares Bild aufnehmen. Von unserem Grundgewicht ausgehend, beginnen wir mit einer kleinen Leinenrolle die Suche nach den Findlingen, die Green-peace dort vor Jahren ausgebracht hat. Das Sylter Außenriff ist ein Schutzgebiet, das bis dahin nur auf dem Papier existierte. Fischerei und Kiesabbau sind in dem artenreichen Biotop sogar heute noch gestattet. Greenpeace versenkte bei zwei aufsehenerregenden Aktionen Hunderte Findlinge auf dem Meeresboden. Das Gebiet ist mittlerweile in den Seekarten verzeichnet und wird von den Fischkuttern weiträumig umfahren, um ein Verhaken der Schleppnetze an den Hindernissen am Meeresboden zu vermeiden.

„Welle machen für den Schutz der Meere“ – Dr. Thilo Maack präsentiert über dem Sylter Außen-riff das Motto der Umweltschutz-Kampagne.

Nach fünfzehn Minuten haben wir einen der Felsen gefunden und befestigen die Leine daran, um ihn beim nächsten Tauchgang wiederzufinden. Das Gestein ist vollständig mit Seenelken und Anemonen bewachsen, die hungrig ihre Tentakel recken, um sich aus der nährstoffreichen Strömung ihre Nahrung zu holen. Um überhaupt etwas erkennen zu können, muss ich mit meiner Tauchermaske so nah an den Stein herangehen, dass ich fast dagegenstoße. Im Lampenschein erstrahlen die gewundenen Häuser von Schnecken, kantige Wohnröhren zahlreicher Würmer und die glitzernden Stielaugen flitzender Krebse und Garnelen. Direkt unter mir schießen kleine Jungfische über den aufgewühlten Meeresboden, auf dem sich in regelmäßigen Abständen winzige, an kleine Palmen erinnernde Polypen festgesetzt haben. Trotz der reduzierten Sichtweite mache ich nun doch Fotos von diesem faszinierenden Anblick und staune über die widerstandsfähigen Seeanemonen, die im gespenstischen Gegenlicht der Tauchlampe aussehen wie majestätische Eichen in dichtem Schneetreiben. Aber bald wird die Strömung so stark, dass wir die Suche nach weiteren Steinen abbrechen und uns zurück zum Grundgewicht tasten. Um den unter Druck aufgenommenen Stickstoff in unseren Körpern wieder abzuatmen, müssen wir langsam auftauchen. Beim Aufstieg durch das graugrüne Wasser hängen wir wie Flaggen im Sturm an der Leine. Sollten wir diese Verbindung zur Oberfläche verlieren, müssten wir sofort eine unserer kleinen aufblasbaren Bojen als Markierung nach oben schießen; sonst würden wir sehr schnell abtreiben und hätten keine Möglichkeit, aus eigener Kraft zurück zum Schiff zu kommen. An der Oberfläche warten schon die beiden Arbeitsboote mit Jet-Antrieb. Auf einem am Heck angebrachten Brett, auf das wir uns in voller Montur ziehen können, werden wir zurück zum Greenpeace–Schiff „Arctic Sunrise“ gebracht (mit der die Umweltschutzorganisation schon gegen die Versenkung des Öltanks „Brent Spar“ demon-strierte) und dort mit einem Kran an Deck geholt. 

Effektive Maß-nahme gegen die Schlepp-netz-fischerei: Die schweren Steine liegen seit einigen Jahren am Grund der Nord-see und sind mittlerweile stark mit Seenelken bewachsen.

Mit unserem professionellen internationalen Team sind Tauchgänge zum Glück auch bei starker Strömung und hohem Wellengang möglich. Nach zehn Tagen haben wir zwar nur wenige brauchbare Bilder und Videoaufnahmen auf der Speicherkarte; die rauen Bedingungen und die miserable Sicht haben uns die Arbeit extrem erschwert und an vielen Tagen ganz unmöglich gemacht. Aber auf diesen Bildern ist die ganze Farbenpracht der Seenelken und der scheuen Leier-fische, die Formenvielfalt der kleinen Poly-pen, der Schwimmkrabben und sogenannten Toten Mannshände zu sehen, kleine, wie die aufgedunsene Hand einer Wasserleiche wirkende Weichkorallen. Die von Green-peace ausgebrachten Steine sind in kurzer Zeit dicht besiedelt worden und bieten nun neuen Lebensraum und Schutz für Jungfische. Auch im Sand, Schlick und Schlamm unserer heimischen Gewässer finden sich also faszinierende Lebensformen, die alle ihren Platz haben und eine bestimmte Rolle spielen, um das ökologische Gleichgewicht des Meeres aufrechtzuerhalten. Die Aktion von Greenpeace hat dafür gesorgt, dass das Sylter Außenriff den Schutz erhält, den es verdient und dringend braucht. An vielen anderen Stellen in dem empfindlichen Ökosystem Nordsee geht der Raubbau an der Natur allerdings immer noch weiter.

Leidenschaft Ozean Expeditionen in die Tiefe, Uli Kunz,  ISBN 978-3-95728-511-9, 35 €, knesebeck-verlag.de