Wingsurfen – mit Foil

Die Sehnsucht nach Wasser, Sonne, Wellen und Geschwindigkeit macht sich immer stärker bemerkbar. Wobei es im letzten Jahr gar nicht so einfach war, dieses Wave-Fun-Bedürfnis auszuleben. Und dabei ist der Kult aus den 1980ern zurück, alle fliegen wieder aufs Wingsurfen mit Foil. The hype is real – weshalb unser Autor Jo von Bahls es selbst ausprobiert hat, im Frühjahr auf der Müritz, dem idealen Revier für Einsteigende.

Draußen ist es zwar bitterkalt, im Shop von SUP & MORE by K. Sports & Event empfängt mich aber der sommerlich, luftigleichte Surf-Charme: Salitosflaschen stehen in einer Reihe mit Action-Fotos und Sandstrand-Andenken. Hier vergisst man sofort, dass man sich nicht in Hawai und auch nicht auf Teneriffa, sondern in Waren an der Müritz befindet. 

Steffen berät, verkauft, und seine Begeisterung klingt ehrlich und kommt extrem cool rüber. Alles sehr smooth. Und Steffen erklärt mir, dass Wingsurfen tatsächlich eine ziemlich easy Sache ist. „Es bietet wirklich ein Maximum an Sicherheit – nicht wie in den Anfängen des späteren Kiter-Booms, als sich Kitende in Leinen verfingen und über Parkplätze geschleift oder an Hotel-Hochhaus-Fassaden aufschlugen. Du brauchst auch noch kein Trapez und man benötigt wenig Kraft, weil kein Wasserwiderstand mehr vorhanden ist, sobald das Board auf den Foils gleitet.“ Okay, für meinen bevorstehenden Wingsurf-Einstieg macht diese Vorstellung trotzdem ein bisschen Angst. Wahrscheinlich unbegründet, denn Wingsurfen hat seine Daseinsberechtigung bereits in der Geschichte deutlich gemacht. „So crazy es ist, das jetzt als hippe Erfindung gefeierte Wingsurfen stammt eigentlich aus den 1980er Jahren“. Und mittlerweile ist der Trend scheinbar auch hier an der Müritz angekommen. Na, dann kann das eigentlich doch auch gar nicht so schwer sein. Ein Sport aus dem letzten Jahrtausend mit der technologischen Unterstützung des 21 Century ist doch wohl zu schaffen! 

Für die erste Übung greift der Chef zu einem normalen 140l-Board und verspricht: „Sobald du oben bist, hörst du nix mehr. Dann bekommen die Ohren Besuch – von den Mundwinkeln.“ Und Steffen gibt noch einen entscheidenden Hinweis: Rookies – also Anfänger – sollten unbedingt zum Windsurf-Board mit Finnen zum Höhelaufen greifen. Trotzdem werfe ich einen überforderten Blick auf mein überdimensionales Brett mit dem Foil – der aus dieser Perspektive wie die Schwanzflosse eines tauchenden Wales aussieht. Den Gegensatz zum Shiny-Gleiten beschreibt Steffen allerdings erst später: 

„Sobald du vom Foil runter bist, bekommst du eine Ahnung davon, wie sich der Absturz eines Flugzeuges bei zu wenig Auftriebs-Volumen anfühlen muss“. 

Dass Steffen nicht auf den Unterschied zwischen dem Absturz einer Boeing und einer Cessna hingewiesen hat, zeichnet sein nachhaltig wirkendes, pädagogischen Talent aus. Der erste Abgang vom Board ist so, wie sich der Sprung aus dem Fenster eines Jumbos anfühlen muss: Krass! Ganzheitliches Lernen scheint hier also überflüssig. Und zwei Stunden später lautet mein Fazit: Alles in allem keine weltbewegenden Erfolgserlebnisse. Nach unbändigem Kampf von gefühlt unendlicher Dauer gelingt es endlich, den Flügel über den Kopf zu bringen, um dann beim Versuch, auf die Beine zu kommen und Eins zu werden mit Geschwindigkeit und Gleitfahrt, eine Erfahrung der besonderen Art zu machen. Das Gefühl ist, wie ausgespuckt und zurück ans Ufer geschleudert zu werden. Irgendwas stimmt hier nicht. Es scheint einfach unmöglich, in eine ruhige Gleitfahrt zu kommen, die genügend Zeit bietet, auf die Füße zu springen. Weiter probieren! Literweise kaltes Müritzwasser schlucken und unterschiedliche Spülgänge kennenlernen. Irgendwo zwischen durchwachsen und durchwaschen.

Aber ich denke – No worries, Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut, und den Wind auf dem Meer zu verstehen sicher auch nicht. Hier lässt sich nichts erzwingen oder schnell erreichen und der Kampf mit Material, Technik und Wasser macht uns wieder zu Gladiatoren, egal ob aufrecht stehend oder ständig stürzend. Vielleicht haben Surfende es da noch etwas leichter als Kitende. Aber im Nachgang gibt es an der Müritz dann noch Trainings-Videos zur After-Race-Besprechung. Das hilft extrem und selbst Rookies wie ich machen sehr schnell große Fortschritte. Schlussendlich am Ufer stehend, fühlen sich die Arme aber nun endgültig nach tausend Klimmzügen an und die Hände hängen auf Höhe der Kniekehlen. Ich bin platt wie eine Flunder und meine Finger sind Eisklötze, dennoch bin ich so happy wie lange nicht mehr! Mein Fazit: Wingsurfen macht absolut süchtig und der Dauerbesuch bei den einschlägigen Wind-Apps ist programmiert. In diesem Sinne, fair winds, mates!

Dieser Artikel ist im Seaside Magazin 2021 erschienen.

Mehr Informationen über unseren Norden finden Sie in unseren Magazinen LAND & MEER und SEASIDE. Sie können die Magazine versandkostenfrei hier im LAND & MEER Shop  bestellen.

Fotos: Daniel Pankoke