Fassade des Klubhaus St. Pauli Foto: Oliver Fantitsch
Oliver Fantitsch

Klubhaus St. Pauli – Fixstern auf dem Hamburger Kiez

Glamourös glitzernd über fünf stabile Stockwerke strahlt eine grandiose Lichtinstallation als Front-Attraktion am Klubhaus St. Pauli auf der Reeperbahn, eines der Lieblingsmotive für nachtschwärmende Ich-war-da-Fotofreunde aus der ganzen Welt.

Wir wollen uns in der vielseitigen Entertainment-Metropole hinter diesem Leuchtkunstwerk einmal gründlich umsehen und haben als ideale „Fremdenführerin“ Julia Staron zu dieser tour d‘amusement überredet. Julia ist Chefin im Kukuun im ersten Stock. Wieder im Kukuun. Denn schon in ihrem „alten“ Club gleichen Namens hat sie die Geschicke geleitet, ist unsere langjährige Freundschaft gewachsen. Mit schönster Regelmäßigkeit sind wir die schmale Treppe hoch getigert, haben tolle Bands gehört, Lesungen gelauscht, die Nacht genossen mit Balkonblick auf die geile Meile. Genauso ist es im neuen Kukuun im Klubhaus St. Pauli – nur alles eine Nummer größer, schic­ker.

Text: Renate Preuss

Schmidtchen

Wir starten unsere Expedition im Parterre des Klubhaus St. Pauli und entern das Schmidtchen, das jüngste Mitglied der großen Schmidt-Familie. Und mit seinen knapp 200 Sitzplätzen das kleinste des Theater Trios. Angenehm überschaubar zu Zeiten der Arena-Bühnen und hübsch intim mit all dem Dunkelrot und der Bar im Hintergrund. Julia nennt das Theater(chen) eine „künstlerische Spielwiese“. Hier wird Neues ausprobiert, Eigenproduktionen gewagt, die publikumsnahe Bühne ist der perfekte Rahmen für Ein-Frau-, bzw. Ein-Mann-Stücke, aber auch für „Alleinunterhalter“ wie Hella von Sinnen und Torsten Sträter, die gern ihre Zuhörer mit einbeziehen. Das „Lütte“ muss nicht die Familie ernähren und kann darum was wagen. Zum Beispiel die ruinös anmutende Freitags-Macke: Zahlt doch, was ihr wollt! Erst nach der Show wird gelöhnt und zwar so viel, wie es dem Besucher wert war. Das funktioniert schon seit einem Jahr – „Klar,“ sagt Julia, „da riskiert man doch schon mal eher, einen unbekannten Künstler kennenzulernen, ohne viel zu riskieren – finanziell, meine ich!“ Aber klar!

Schmidtchen Theater im Klubhaus Hamburg, Foto: Ingo Boelter
Foto: Ingo Boelter

Alte Liebe

Nach so viel Neuem schwenken wir nach rechts in die Alte Liebe. Und sind wohl in der Zeitmaschine des Klubhaus St. Pauli gelandet: Hier herrscht barocke Schlossromantik im Überfluss. Engelsstuck, Kronleuchter und Kuschel-Ledermöbel. Diese Märchenklause fungiert als Theatergastronomie fürs Schmidtchen und mutiert nach der Vorstellung zum kunterbunten Partytempel mit Livemusik jeglicher Art. Und nein, das hochmoderne Zeitansagen-Panel an der Decke zeigt nicht die nächste Busabfahrt an – die Alte Liebe dient quasi als Wartesaal vor den Führungen in Udos Panik-City. Und da ist Schluss mit Barock – da wird schlicht gerockt.

Alte Liebe im Klubhaus St. Pauli Foto: Anka Schoenefeld
Foto: Anka Schoenefeld

Sommersalon

Links vom Schmidtchen geht es weiter auf Kuscheltour: Der Sommersalon hat sich eigenen Aussagen zufolge „All we need is love“ auf die Fahne geschrieben. Auf dem im unerklärlichen Stil zusammengestellten Mobiliar kommt man sich garantiert schnell näher – wo haben die diesen Möbelmix bloß aufgetrieben? Das weiß Julia auch nicht, erklärt uns aber, dass der Sommersalon auch ein Rückkehrer zu den alten Wurzeln ist, mit einem Gastspiel während der Bauzeit am Hamburger Berg. Und jetzt wird hier wieder weitergeliebt. Mit softig tanzbaren DJ-Beats, mit studenten­freundlichen Sonderpreisen und einer abschließbaren Knutschzelle – sprich: alte Telefonzelle – die, ausgestattet mit Vorhang und Kondomen, gern an Sondernutzungen in frühen Zeiten erinnert. Eine Wundertüte sind die „Bad Tasty Trashilein“-Partys, bei denen alle, die so kommen, „wie du neulich ma geträumt hast“, einen Drink aufs Haus bekommen. Wir werden mal unsere Träume durchforsten….

Sommersalon im Klubhaus St. Pauli Foto: Tobias Goebbels Fotografie
Foto: Tobias Goebbels Fotografie

Kukuun

Jetzt gehts aufwärts: Im ersten Stock des Klubhaus St. Pauli links liegt das Kukuun mit seinem freundlich schlichten Interieur und dem terrassengroßen Balkon. Hier hat Julia mit ihrem weitschweifigen Clubprogramm einen perfekten neuen Heimathafen gefunden. „Besonders glücklich sind wir über den tollen Sound im relativ kleinen Raum – und zu unserem Programm: Unser Vermieter hat uns „Kultur-Chamäleon“ getauft. Das passt doch!“ Total einer Meinung mit Julias Vermieter gehen wir jetzt rüber zum Häkken.

Kukuun im Klubhaus St. Pauli Foto: Olaf Staron
Foto: Olaf Staron

Häkken

Puristen haben hier ihr Wohnzimmer gefunden: sowas von skandinavischer Geradlinigkeit im Mobiliar, sowas von durchweg entspannter Atmosphäre – „cooler Laden für coole Leute“ schreibt ein Fan im Internet. Ja, richtig geraten: Häkken heißt ein absolut unprätentiöses Dörfchen in Schwedens Wäldern und fungiert als Namens­geber, weil Lieblingsferienort eines der beiden Häkken-Gründer. Die sind übrigens auch die Macher vom fabulösen Reeperbahn-Festival und damit quasi an der Quelle spannender musikalischer Entdeckungen. Und auch im Häkken-Programm werden strenge Maßstäbe eingehalten: „Wir wollen ein anspruchsvolles Programm machen, ohne uns auf ein Genre festzulegen“, hört man vom Häkken-Team und bittet konsequenterweise nur Leute auf die kleine Bühne, von denen alle überzeugt sind. Tut sich da mal ein kleines schwarzes Loch auf, dann bleibt das Häkken einfach zu.
Ganz gradlinig.

Häkken im Klubhaus St. Pauli Foto: Felix Wittich
Foto: Felix Wittich

Lasertag

Jetzt geht es per Lift weiter aufwärts, und einzelgehende Klubhausbesucher können gleich weiterfahren: Die Lasertag-Etage mit Raumschiff-Appeal lädt zu galaktischen Verfolgungsjagden durchs Sternensystem mit – laut Veranstalter – dem modernsten Lasertag-System der Welt und der spektakulärsten Arena in der Stadt. Sowas hat als one man show irgend­wie wenig Sinn. Auch nicht bei den Karaoke-Abenden mit 27.000 Titeln zur Auswahl und Ausflügen in andere Welten mit VR- Brille. An der Bar – Sinnspruch „Möge die Macht mit Dir sein“ – können Junggesellenabschiedler/innen, Firmen- und Geburtstags­feiernde ihre Lasertaktik entwerfen – doch Mädels: Lasst euch nicht von fremden Männern anquatschen, auch wenn sie behaupten euer Vater zu sein! Wir sind mit Julia einer Meinung – mit Schlachten im Star Wars Stil ist es wie mit Austern: Man ist entweder verrückt danach – oder nicht.

Skurrilum

Teamwork ist auch im dritten Stock – sorry, Singles – angesagt: Im Skurrilum haben Denksportler und Schnitzeljäger ihre große Stunde, hier ist Grips gefragt. Fantasievolle Erlebnisräume entführen in fremdes Gelände, gespickt mit spannenden Rätseln und Knobelaufgaben. Ausgedacht und ausgestattet hat diese Mini-Universen das talentierte Team vom Schmidt-Theater. Detailverliebt, humorfixiert und enorm bühnenbilderfahren. Wir erobern die Phantominsel, setzen uns auf die Spuren von Geisterjäger Ernie Hudson, enträtseln ein Zauberzimmer, gruseln uns im Zoo des Todes und erfahren in Guschis 80er Jahre-Kneipe endlich, was wir schon immer über Sex, Drugs und solche Sachen wissen wollten. „Guschis Geile Grotte ist unser Klassiker und immer noch das beliebteste Spiel bei Touristen und Hamburgern“, grinst Skurrilum-Mit-Macher Lukas Nimscheck. Wer hätte das gedacht!

Skurrilum im Klubhaus St. Pauli Foto: Lukas Nimscheck
Foto: Lukas Nimscheck

Udo Lindenberg Panic City

Na, bitte, geht doch: Den gesamten vierten Stock des Klubhaus St. Pauli, satte 700 Quadratmeter, besetzt seit einem guten Jahr die „Udo Lindenberg Experience“, viele Jahre hat sich unsere Rock‘n-Roll-Nachtigall ein Museum gewünscht, doch niemand, nicht die Stadt, kein Privatinvestor, biss an. Betrachtet man die übersichtliche Beatles-Skulptur sehr schräg gegenüber vom Klubhaus und das rasch wieder zugeklappte Museum der heißgeliebten Pilzköpfe, ist das sicher auch gut so. Udo schmiedete ob dieser Absagen bereits Emigrationspläne in Richtung Berlin, da griffen zwei beherzte Kiez-Helden ein – und zu: Schmidt-Theater-Vater Corny Littmann und Klubhaus-Gastronom Axel Strehlitz erbauten – ideengedopt vom Namensgeber – dem Udo seine Panik City. Und diese einzigartige Metropole will unser Grüppchen nun erwandern, so wie 40.000 schon vor uns im ersten Jahr. Dank großartiger Erfindungen – Sammelbegriff: innovative Multimedia-Technik – rücken wir Udo, seiner Familie, seinen Rauf-und-Runter-Lebensstationen, und was sonst noch so über ihn unbedingt zu erzählen ist, hautnah auf die Pelle. Wir können malen – nein, nicht nach Zahlen – sondern unter Anleitung des Likörelle-Meisters, im legendären Tonstudio „Boogie Park“ singen wir mit dem Star eine Tonaufnahme ein, die wir als Video mitnehmen können – oder lieber doch nicht. Während der ganzen Tour begleitet uns Schritt für Schritt eine Songschleife vom kleinen Friesenjung – das ist sein Ding.

Udo Lindenberg Panic City Foto: Tine Acke
Foto: Tine Acke

Gaga

On the top landen wir zu nächtlicher Stunde mit dem schicken Glasfahrstuhl im fünften Stock, im Gaga. Dieses edle Etablissement mit seiner noblen Ausstattung und zwei üppig bestückten Bars nennt sich berechtigt Bar & Nightclub. O-Ton Gast: „Keine Kiddies, sondern gepflegte Gäste“ – und Julia bestätigt: „Hier ist Dress Code angesagt.“ Der allerdings zu den Themenabenden ein paar Grad flockiger sein darf. Amüsant außergewöhnlich sind die artistischen, auch mal flippigen musical und walking Acts, die die Nacht über­raschend würzen – „nein,“ beruhigt Gaga-Mann Hauke Will „nicht das, was auf dem Kiez sonst so üblich ist…“ Apropos: die Reichen und die zumindest Schönen. Eine lang­jährige Freundschaft verbindet das Gaga mit Kampens Pony, dem legendären Sylter Club, in dem schon Gunter Sachs auf den Tischen tanzte. Im Frühling kommen die Insulaner in die Hansestadt, um im Gaga die jeweilige Season Opening zu feiern; im Herbst packt das Gaga seine Koffer – zum Season Closing auf der Insel. Ein bisschen Gaga am Nordseestrand…

Gaga im Klubhaus St. Pauli Foto: Better Nightlife GmbH/Gaga
Foto: Better Nightlife GmbH/Gaga

Bahnhof Pauli

Szenenwechsel in den Untergrund. Im Klubhaus St. Pauli-Basement erwartet uns der Bahnhof Pauli mit der Anmutung einer echten stillgelegten U-Bahn-Station. Von wegen „stillgelegt“: Hier geht die Post ab mit Konzerten jeglicher Art, Comedy und elektronisch/musikalisch angeheizten Partynächten. Bahnhof Pauli – das ist urbaner Charme, gelungen gepaart mit Liebesgrüßen aus Moskau: Die Bar besteht aus Originalteilen einer abgewrackten U-Bahn, echte Graffitis home made zieren die Wände – funkelnde Kronleuchter und kostbar anmutende Stilmöbel erinnern an die prächtigen Stationen der russischen Untergrundbahn. Hier fährt kein Zug nach nirgendwo – hier sind wir angekommen.

Bahnhof Pauli im Klubhaus Foto: chvbbls
Foto: chvbbls

“Also, Leute: Nur mit knipsen kommt ihr dem Kiez nie näher!”

Julia Staron, Chefin im Kukuun und unser Tourguide durch das Klubhaus.

Foto: Muhme Photography

Nach Lobgesängen auf unsere tapfere Begleiterin hocken wir uns an die Bar zum Fazit dieser echt abwechslungsreichen Reise. Und haben mit Reise schon den richtigen Begriff am Wickel: Das Klubhaus ist eine Urlaubswoche wert. Jeden Tag eine andere Etage erobern – gut, Ferienbräune entfällt da ziemlich, aber ein ganzer Sack voll glänzender Souvenirs ist garantiert. Julia findet unsere Tourismus-Idee auch recht fein, runzelt aber trotzdem die Stirn. Warum? „Ihr findet unsere Multimedia-Front ja auch toll, aber irgendwie ist sie auch eine Barriere: Die Leute machen Fotos ohne Ende, kommen aber nicht in das Klubhaus rein. Viele haben schlicht und einfach Schwellenangst, dabei gibt es doch für jedes Portemonnaie, für jedes Alter das passende Programm…!“

Wir haben euch die Überschriften verlinkt. Mehr über das Klubhaus findet ihr hier.
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